Euphrat Queen von Ursula Naumann

Im 19. Jahrhun­dert gab es eine Art Kalten Krieg zwis­chen Eng­land und Rus­s­land, in dem es vornehm­lich um die Vorherrschaft im Näheren und Ferneren Osten ging. Dadurch ent­standen die inter­es­san­testen und – aus heutiger Sicht – abwegig­sten Ideen, um dem jew­eils anderen einen Schritt voraus zu sein. Eine dieser Ideen war der von dem englis­chen Dichter Thomas Love Pea­cock aufge­brachte Vorschlag, eine Expe­di­tion auf dem Euphrat zu unternehmen. Was an sich gar nicht merk­würdig klingt, wurde jedoch zu einem der exzen­trischsten Unternehmen, die man sich vorstellen kann: Zwei Dampf­schiffe, die „Euphrat“ und die „Tigris“ wur­den kom­plett in Eng­land gebaut, dann in ihre Einzel­teile zer­legt, per Schiff nach „Groß-Syrien“ gebracht, dort auf dem Landweg (!) zum Ober­lauf des Euphrat gebracht und da in monate­langer Arbeit wieder zusam­menge­set­zt. Dieses wah­n­witzige Unternehmen (allein zum Trans­port eines Dampfkessels brauchte man 104 Ochsen und 52 Treiber) wurde auch noch erschw­ert durch die kli­ma­tis­chen Bedin­gun­gen, Krankheit­en und die fehlende Unter­stützung der örtlichen Machthaber.
Diese wahre Reisegeschichte wird teils von der Autorin geschildert und kom­men­tiert, teils aber auch in Form von abge­druck­ten Briefen und Bericht­en der Expe­di­tions-Teil­nehmer doku­men­tiert. Es han­delt sich also eher um ein Sach­buch als um einen Roman – aber beileibe kein trock­enes Sach­buch! Im Mit­telpunkt der Reisege­sellschaft ste­hen der Expe­di­tion­sleit­er Ches­ney und eine (in Män­nerklei­dern) mitreisende Frau eines deutschen Arztes, die in aus­führlichen Bericht­en nicht nur auf die Expe­di­tion, son­dern auch auf die Kul­tur des Lan­des und auf die Lage ihrer ori­en­tal­is­chen Geschlechtsgenossinnnen einge­ht.
Beson­ders heute, wo wir jeden Tag etwas vom Irak oder Iran im Fernse­hen sehen oder in den Zeitun­gen lesen, ist es inter­es­sant, sich bewusst zu machen, wie alt diese Kul­turen schon sind und wie über­he­blich wir Europäer schon vor 200 Jahren unsere „über­legene Tech­nik“ und „Zivil­i­sa­tion“ dort demon­stri­ert haben. Wom­it ich jet­zt nicht mit ein­er Irak-Krieg-Debat­te begin­nen oder Sad­dam Hus­sein vertei­di­gen möchte. Aber ich denke, manch­mal lohnt es doch, sich gewisse geschichtliche Zusam­men­hänge vor Augen zu führen.

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