Cash von Richard Price

Hier eine Rezen­sion von Wolf-Peter Wein­ert, Autor des Blogs www.der-andere-hausarzt.de und mehrerer Büch­er, die Sie hier find­en: www.lebenundschreiben.de

Mein Buch des Jahres ist ganz ein­deutig der Roman Cash von Richard Price. Für mich gibt es da gar keine Frage, und das ist eine Über­raschung, jeden­falls für mich. 
Immer­hin haben einiger mein­er bevorzugten Schrift­steller neue Büch­er im Jahr 2010 veröf­fentlicht: unter anderem
John Irv­ing — Let­zte Nacht in Twist­ed Riv­er, 
Paul Auster — Unsicht­bar und allen voran 
Jonathan Frantzen, als Nach­fol­ger von Kor­rek­turen, den RomanFrei­heit.
Aber ich bleibe dabei, Richard Price war dieses Jahr der Beste.
Für eine Rezen­sion ungewöhn­lich, will ich mit den Schwächen von Cash begin­nen, für die der Autor Richard Price allerd­ings nichts kann.
1. Der deutsche Titel ist ein Miss­griff. Im Englis­chen heißt das Buch Lush Life, was so viel heißt wie Üppiges Leben oder Sattes Leben. Der Titel Cash ver­mit­telt den reißerischen Ein­druck, dass in diesem Buch der Kampf um Geld, zumal Bargeld, im Vorder­grund ste­ht. Aber das The­ma Geld ist in diesem Roman eher eine Neben­säch­lichkeit. 
Vielle­icht wer­den auch Leute von der Lek­türe des Buch­es abgeschreckt sein, die John­ny Cash nicht mögen. Mit dem alten Haude­gen der Coun­try­musik hat das Buch rein gar nichts zu tun. 
Cash ist der Nach­name der Haupt­per­son, wenn Eric Cash denn die Haupt­per­son ist. Für mich ist eher der Detec­tive Mat­ty Clarke, wom­it wir zu
2. kom­men, denn der Roman Cash ist nicht das, als was er verkauft wird. Er ist keines­falls ein Krim­i­nal­ro­man. Zwar kommt einem Ver­brechen eine entschei­dende Rolle zu, aber das trifft aufSchuld und Sühne eben­so zu und nie­mand würde den Roman Dos­to­jew­skis in die Kri­mi-Ecke ein­sortieren. Ich habe nichts gegen Krim­is, im Gegen­teil, ich bin begeis­tert­er Leser von guten Krim­i­nal­ro­ma­nen, aber ich habe etwas gegen Schubladen, zumal gegen falsche, die schaf­fen Ver­wirrung.
Der Ver­gle­ich mit Schuld und Sühne von Dos­to­jew­s­ki ist gar nicht so weit herge­holt wie es auf den ersten Blick scheint. Wie der rus­sis­che Roman aus dem vor­let­zten Jahrhun­dert, ist Casheine minu­tiöse Charak­ter- und Milieustudie. In diesem Fall spie­len sich die Szenen selb­stver­ständlich nicht im rus­sis­chen St. Peters­burg ab, son­dern im amerikanis­chen New York, genauer in Man­hat­tan, noch genauer — in der Low­er East Side von Man­hat­tan.
Uner­bit­tlich treibt Richard Price die Analyse des sozialen Bren­npunk­tes Low­er East Side voran, seziert den Stadt­teil, das soziale Geflecht und das Ego sein­er Bewohn­er mit ein­er solchen Kon­se­quenz, dass man in das Stadtvier­tel ger­adezu hineinge­so­gen wird und es sog­ar als Leser has­st, dort auch nur imag­inär zu wohnen. Dabei hat Price‘ Ton nichts Reißerisches, nichts Bru­tales. Im Gegen­teil, manch­mal kön­nte man denken, jeden Moment schlafen seine Pro­tag­o­nis­ten auf der Theke ein­er Bar oder auf dem Schreibtisch eines Police Departe­ments ein, weil Price ihre Müdigkeit, ihren Weltver­druss so plas­tisch schildert. Dieses Prob­lem hat der Leser nicht. Er bleibt hellwach. Das liegt nicht zulet­zt am vir­tu­osen Sprach­stil von Richard Price, der sich nicht nur im beschriebe­nen Milieu bestens ausken­nt, son­dern auch die Slang-Dialoge der Ein­wohn­er beherrscht. Dass hier die Über­set­zerin Miri­am Man­delkov großar­tige Arbeit geleis­tet hat, liest man in nahezu jed­er Rezen­sion.
New York von heute, Berlin oder Frank­furt von mor­gen?
Wenn Sie nun sagen, die Low­er East Side und das Leben dort, inter­essiert Sie nicht die Bohne, lesen Sie bitte dieses Buch trotz­dem, aus ver­schiede­nen Grün­den:
1. soll­ten wir nicht dem Irrtum ver­fall­en, wir seien von sozialen Abgrün­den wie den im BuchCash beschriebe­nen in Deutsch­land sehr, sehr weit ent­fer­nt
2. wenn es denn so ist, dass bei uns noch ein biss­chen Zeit verge­hen muss, bis so viel Hoff­nungslosigkeit in unser Leben Einzug hält, kön­nen wir schon ein­mal davon lesen, was uns und unsere Städte erwartet. Let­ztlich war Amerikas Gegen­wart schon immer ein Blick in unsere Zukun­ft
3. und das ist meines Eracht­ens der wichtig­ste Grund, dieses Buch zu lesen und zugle­ich der Grund, warum diese Rezen­sion in einen medi­zinis­chen Blog gehört: 
Drit­tens treibt Ihnen die Lek­türe von Cash jede Unzufrieden­heit über das eigene Leben aus. Sie wer­den merken, Ihnen und uns, die wir solche Büch­er lesen, geht es ja noch Gold. 
Wenn Ihnen mal das klein­bürg­er­liche, kle­in­städtis­che oder dör­fliche Leben auf den Weck­er geht, greifen Sie zu Cash von Richard Price und betra­cht­en beispiel­sweise das Leben von Detec­tive Mat­ty Clarke. Sie wer­den dankbar sein, so zu leben wie Sie leben. Und das wäre doch eine gute Ther­a­pie, auch für jeman­den, der meint keine nötig zu haben.

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