Alles zu seiner Zeit — Mein Leben von Michail Gorbatschow

Eins ist sich­er: Ohne Gor­batschow hätte es keine Wiedervere­ini­gung gegeben. Er war es, der die verkrusteten Struk­turen des kom­mu­nis­tis­chen Regimes aufge­brochen hat — und das nicht nur in Rus­s­land, son­dern auch in allen Ost­block­staat­en.
Diese Auto­bi­ogra­phie ist ein Zeit­doku­ment. Es ist eine Mis­chung aus Pri­vatem und Poli­tis­chem. Das Buch zeigt, wie aus dem unbe­deu­ten­den Trak­torist, der schw­er in der Land­wirtschaft arbeit­ete, der mächtig­ste Mann Rus­s­lands wurde und wie er durch Intri­gen zu Fall gebracht wurde.
Zunächst zum Pri­vat­en: Als der Krieg zu Ende ging, war Gor­batschow ger­ade mal 14 Jahre alt. Erfahrun­gen mit dem stal­in­is­tis­chen Regime blieben auch sein­er Fam­i­lie nicht erspart. Langsam arbeit­ete er sich inner­halb des star­ren Sys­tems nach oben. Zahlre­iche Vorschläge zur Verbesserung der Pro­duk­tion, die jedoch oft an der Bürokratie scheit­erten, macht­en ihn bekan­nt. Ein Studi­um wurde möglich. Dort lernte er seine Frau Rais­sa ken­nen, die ihn bis zu ihrem Ende treu begleit­ete und ihm eine gute Stütze war. Sie litt zulet­zt an Krebs und sollte in Mün­ster eine Knochen­mark­spende bekom­men, starb jedoch drei Tage vor dem dafür vorge­se­henen Ter­min. Das war für Michail Gor­batschow der schw­er­ste Schlag in seinem Leben.
Poli­tisch hat er sich – so liest es sich zumin­d­est in dem Buch – nie vorge­drängt. Er meint vielmehr, dass er immer wieder durch Zufälle von einem Posten zum anderen kam. Sehr ver­wun­der­lich war das nicht, denn die Nomen­klatur war total über­al­tert, und man brauchte drin­gend Nach­wuchs. Als Men­sch aus der Land­wirtschaft hat­te er mehr Ahnung als andere auf diesem Gebi­et, und die Ernährung des Volkes war damals ein großes Prob­lem. Er wurde zu wichti­gen Fra­gen gehört , obgle­ich er sel­ten etwas entschei­den kon­nte. Der zen­tral­isierte Appa­rat ver­langte bei ein­fach­sten Din­gen Entschei­dun­gen von oben. Gor­batschow fiel sehr früh auf, dass hier ein Übel bestand, welch­es alles so schw­er­fäl­lig machte. Nach­dem er entsprechend hohe Posi­tio­nen bek­lei­dete, fand er Kon­takt auch zu Breschnew, der damals ein kranker Mann war, und zu Andropow, der auch nicht mehr lange die Führung über­nahm. So kann es, dass bald auch dem Dümm­sten im ZK der KPDSU klar war, dass ein Jün­ger­er die Führung übernehmen sollte. Nach ein­er ful­mi­nan­ten Rede wurde Gor­batschow gewählt.
Jet­zt kon­nte er endlich seine lange gehegten Ideen von Per­e­stro­j­ka und Glas­nost vor­tra­gen. Er wollte, dass Prob­leme – nicht wie bish­er – nur zöger­lich oder aus Furcht über­haupt nicht ange­sprochen wur­den, son­dern über­all offen darüber gere­det wurde. Das passte natür­lich so manchem Funk­tionär nicht und es gab Wider­stände. Aber Gor­batschow ließ sich nicht beir­ren. Viele zumeist ältere Partei­bonzen wur­den erset­zt. Es gab schmerzhafte Auseinan­der­set­zun­gen. Beson­ders unbe­liebt machte er sich durch sein Alko­holver­bot. Die Zahl der Alko­holtoten war enorm und es hat­ten sich Unsit­ten einge­bürg­ert, die abgestellt wer­den mussten. In seine Zeit fiel auch das schreck­liche Ereig­nis in Tsch­er­nobyl. Das wurde zuerst dargestellt wie ein kleines Unglück beim Osterspazier­gang, und es dauerte eine Weile bis man das Aus­maß des Schadens erkan­nte.
Nach vie­len innen­poli­tis­chen Verän­derun­gen suchte Gor­batschow Unter­stützung im Aus­land. Das war schon allein deshalb notwendig, weil es für das Wet­trüsten kein Geld gab. Gor­batschow wollte ein Ende des Kalten Krieges und suchte Gespräche in Eng­land, Frankre­ich und schließlich in Ameri­ka. Damit brach er ein Tabu. Durch geschick­tes Ver­han­deln gelang es ihm, Gräben zu über­winden und gute Kon­tak­te zu entwick­eln. So ent­standen damals einige bedeu­tende Verträge, die bis heute das Zusam­men­leben erle­ichtern. Während er so das Beste für sein Land zu erre­ichen suchte, span­nen in Rus­s­land alte und neue Funk­tionäre ihre Intri­gen. Die einen woll­ten den alten Zus­tand wieder her­stellen, die jün­geren woll­ten reich wer­den, was ihnen dank Jelzin dann ja auch auf Kosten des Volkes gelun­gen ist. Gor­batschow beze­ich­nete man als Ver­räter und jagte ihn davon. Die alten Appa­ratschicks hat­ten keinen Erfolg, aber die Clique um Jelzin ergriff die Macht, und es ent­stand zunächst das bekan­nte Chaos mit den Oli­garchen, die ihren Reich­tum ins Aus­land bracht­en. Das war nicht das was Gor­batschow wollte.
Ein span­nen­des und sehr empfehlenswertes Buch für jeden poli­tisch und geschichtlich Inter­essierten.

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