Im Schatten des Vogels von Kristín Steinsdóttir

Mit dieser bewe­gen­den, poet­isch geschriebe­nen Geschichte vom Leid und Glück ein­er beson­deren Frau erin­nert sich Kristin Steins­dót­tir an ihre Groß­mut­ter, die im späten 19. Jahrhun­dert in einem kleinen Dorf im Osten Islands am Fuß eines Gletsch­ers, mit Blick auf gewaltige Gebirgszüge und das stür­mis­che Meer aufwächst. In ein­fach­sten Ver­hält­nis­sen lebend, in ein­er vielköp­fi­gen Fam­i­lie und ein­er großen, engen Hofge­mein­schaft, schwankt Páli­na Jóns­dót­tir zwis­chen Heimat­ge­fühl und Fer­n­weh, träumt von ein­er glück­lichen, son­ni­gen Zukun­ft und fühlt sich doch auf der Mäd­chen­schule in Reyk­javík nicht wohl. Als ihr über­aus geliebter aber auch wegen sein­er Strenge gefürchteter Vater ihr die Heirat mit ihrer ersten großen Liebe ver­bi­etet, zer­bricht sie fast daran. Zu diesem Zeit­punkt macht sich ihre seel­is­che Krankheit erst­mals deut­lich­er bemerk­bar. Sie spricht davon, als wäre ein Vogel in ihrem Inneren, der von Zeit zu Zeit aufgeregt flat­tert, ihr aber auch manch­mal die Luft raubt, wenn er in ihrem Hals steckt und nach draußen will. Aber es gibt auch Zeit­en, da kann sie sich unter seinem Gefieder vor der Welt ver­steck­en. Páli­na heiratet einen fleißi­gen Tis­chler, bekommt viele Kinder, denen sie eine sehr liebevolle Mut­ter ist, die singt, schnei­dert, Orgel spielt und große Pläne schmiedet, aber immer nur solange, bis sie wieder von Wah­n­vorstel­lun­gen durcheinan­derge­bracht wird und ihr alles über den Kopf wächst. Während Páli­na sich allmäh­lich immer weit­er von der Real­ität ent­fer­nt, geben sich ihr Mann und vor allem ihre Kinder unendlich viel Mühe, dem unauswe­ich­lichen Dorf­tratsch zu trotzen, die Mut­ter zu schützen, liebevoll für sie zu sor­gen und sie bei sich zu behal­ten, auch als sie schon eine Gefahr für sich und andere wird. Diese völ­lig uneigen­nützige Liebe gibt dem Roman eine ganz beson­dere, hoff­nungsvolle Stim­mung. Neben Páli­nas Lebens­geschichte lässt Steins­dót­tir uns auch am Leben der einzel­nen Geschwis­ter teil­haben und zeigt, wie dicht die per­sön­lichen Schick­sale miteinan­der ver­woben sind, wie wichtig die Geschwis­ter füreinan­der wer­den, welche Rolle sie füreinan­der spie­len. Das alles lässt diesen Roman zu einem einzi­gar­ti­gen Fam­i­lien­dra­ma wer­den, das sich vor der lebendig beschriebe­nen Kulisse Islands abspielt. Indem sie fast das ganze Buch aus Páli­nas Per­spek­tive erzählt, gibt Kristín Steins­dót­tir tiefe Ein­blicke in diese kranke Seele und lässt uns als Leser ähn­lich hil­f­los zwis­chen Sagen­welt, Ein­bil­dun­gen und Real­ität heru­mir­ren.

Ein ruhiges, poet­is­ches und trotz­dem auf seine beson­dere Art unge­heuer span­nen­des Buch, von dem Sie lange zehren kön­nen.

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