Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer

Kann man sich ver­lieben ohne den anderen je gese­hen zu haben? Ohne über­haupt im Min­desten die Absicht oder das Bedürf­nis zu haben sich zu ver­lieben? Ja, ganz sich­er.

Wie, das zeigen Emmi Roth­n­er und Leo Leike in ihrem E‑Mail Schriftverkehr, aus dem dieser Roman beste­ht. Emmi will eigentlich nur eine Zeitschrift abbestellen, als ihre E‑Mail verse­hentlich bei Leo lan­det, der sie in sein­er Antwort fre­undlich auf ihren Irrtum hin­weist. Nach­dem dieses Miss­geschick sich mehrfach wieder­holt, wer­den die Nachricht­en ganz unmerk­lich etwas per­sön­lich­er. Unverbindlich aber den­noch inter­essiert erkundi­gen die bei­den sich nach den jew­eili­gen Leben­sum­stän­den des anderen, stellen also fest, dass sie glück­lich ver­heiratet und er schon lange liiert ist. So, das denken sie zumin­d­est, kön­nen sie sich ganz unbe­fan­gen weit­er­schreiben, weil sie ja nichts voneinan­der wollen. Aber anders als bei der zwan­glosen Unter­hal­tung beim Kauf­mann um die Ecke, tauschen sie schnell recht per­sön­liche Nachricht­en aus, schreiben einan­der über Dinge, die sie im All­t­ag in dieser Form kaum besprechen kön­nen und ler­nen sich dadurch sehr inten­siv ken­nen — und lieben, auch wenn sie sich das bei­de nicht recht eingeste­hen wollen.

Wäre es denn über­haupt erlaubt? Schließlich sind sie mehr oder weniger fest gebun­den. Ist eine virtuelle Beziehung, eine, die nur aus Worten, nur aus geschriebe­nen Worten beste­ht, eigentlich real? Es gibt keine Begeg­nung, keinen Blick­kon­takt, keine Berührun­gen, noch nicht ein­mal den Aus­tausch von Fotos, von handgeschriebe­nen Briefen, von Adressen oder Tele­fon­num­mern, keine Anrufe, ein­fach nichts Greif­bares zwis­chen Emmi und Leo. Da sind nur E‑Mails, schwebende Worte im weltweit­en Netz, die sie einan­der so nahe brin­gen. Worte die verza­ubern ohne viel Hand­festes auszusagen. Sprach­lich bril­lante, intel­li­gente Über­legun­gen dazu, ob sie dür­fen, was sie tun, was sie einan­der sagen dür­fen ohne Ihre Anonymität aufzugeben und wo möglicher­weise die Gren­zen zum Betrug an ihren Part­nern liegen.

Wie weit und wohin E‑Mails dieser Qual­ität führen kön­nen, lohnt sich nachzule­sen. Wun­der­schön.

„Gut gegen Nord­wind“ ist übri­gens auch in der Hör­buch­fas­sung, gele­sen von Andrea Sawatz­ki und Chris­t­ian Berkel ein beson­der­er Genuss.

2 Kommentare zu „Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer“

  1. Für Roman­tik­er wohl genau das Richtige.
    Für Real­is­ten etwas zu weit herge­holt. Ich per­sön­lich fand “Gut gegen Nord­wind” zu kitschig. Eine alte Geschichte, die durch den mod­er­nen E‑Mail Verke­her wieder aufer­lebt wurde. Als gute Bet­tlek­türe schön zu lesen, für anspruchsvolle Leser jedoch eher nicht zu empfehlen.

  2. Auch als anspruchsvolle Leserin und Buch­händ­lerin habe ich “Gut gegen Nord­wind” genossen und mehrfach ver­schenkt und emp­fohlen. Eine roman­tis­che, wenn auch alte, Geschichte die ein­fach nur unter­hal­ten soll. Und das ist ihr gelun­gen!

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