Kontrapunkt von Anna Enquist

„Kon­tra­punkt“ von Anna Enquist ist für mich ein wirk­lich ganz beson­deres Buch, eins der ganz weni­gen, die ich gar nicht erst zur Seite leg­en kon­nte, son­dern gle­ich wieder von vorne anfan­gen musste. Obwohl ich nur über sehr geringe musikalis­che Ken­nt­nisse ver­füge, hat mich die tiefe Verbindung der Erin­nerun­gen ein­er Pianistin an ihre ver­stor­bene Tochter mit ihrer unter diesem Aspekt erre­icht­en Inter­pre­ta­tion der „Gold­berg Vari­a­tio­nen“ von Johann Sebas­t­ian Bach sehr bewegt, beein­druckt und fasziniert. Wer sich wirk­lich auf Musik ver­ste­ht, wird einen noch viel größeren Gewinn aus diesem Buch ziehen.
Eine Frau, die in dem Roman immer nur „die Frau“ oder „die Mut­ter“ heißt, kämpft gegen das Verblassen der Erin­nerun­gen an ihre Tochter und an den Schmerz, der damit ver­bun­den ist, an. Zum ersten Mal seit ihrer Zeit am Kon­ser­va­to­ri­um wagt sie sich wieder an die „Gold­berg Vari­a­tio­nen“ her­an. Das Spie­len und die Inter­pre­ta­tion dieser schwieri­gen Kom­po­si­tion fordern ihre ganze Kraft. Gle­ichzeit­ig weckt die Musik aber auch je nach der Stim­mung der betr­e­f­fend­en Vari­a­tion ganz unter­schiedliche, längst ver­schol­lene Ein­drücke wieder auf und bringt ihr Vergessenes zurück ins Bewusst­sein. So rei­hen sich Erleb­nisse, Gefüh­le, lustige, trau­rige, wichtige und belan­glose Begeben­heit­en zufäl­lig und unge­ord­net aneinan­der. Alles notiert sie sorgfältig in einem bere­it­gelegten Heft und erhält so ein sehr lebendi­ges und facetten­re­ich­es Bild der gemein­samen Zeit, das sie sich bewahren und not­falls auch weit­ergeben kann.

Auch die strenge Form des Romans, die jedes Kapi­tel durch das The­ma der betr­e­f­fend­en Vari­a­tion ein­leit­et und dann nacheinan­der die musikalis­che Inter­pre­ta­tion der Frau und das damit ver­bun­dene Gegen­stück aus dem Leben­der Mut­ter fol­gen lässt, unter­stre­icht, wie die erforder­liche Konzen­tra­tion und Diszi­plin erst die Dis­tanz schaf­fen, die die Mut­ter benötigt, um die schmer­zlichen Erin­nerun­gen zu ver­ar­beit­en.

In diesem Buch stimmt ein­fach alles.

1 Kommentar zu „Kontrapunkt von Anna Enquist“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen