Tilman Rammstedts Roman „Der Kaiser von China“ ist eine urkomische und trotzdem melancholische, absolut unglaubliche Reisegeschichte, die ich mit dem allergrößten Vergnügen gelesen habe.
Seine Hauptperson Keith Stapperpfennig ist ein junger Mann, der zu Beginn des Romans versteckt unter seinem Schreibtisch lebt, anstatt mit seinem Großvater durch China zu reisen, wie er es seinen Geschwistern versprochen hat. Genau so absurd wie diese Situation ist die ganze Geschichte, die Keith uns, den Lesern, und seiner Romanumgebung auftischt, um sich irgendwie aus seiner fatalen Lage zu befreien.
Keith ist mit seinen angeblichen (?) Geschwistern unter der Obhut seines sehr eigenwilligen Großvaters und zahlreicher, im Laufe der Jahre immer jünger werdender Großmütter aufgewachsen.
Zum 80. Geburtstag wollen die Geschwister ihrem Großvater eine Reise schenken, deren Ziel sie ihn leichtsinnigerweise selbst aussuchen lassen: China. Die Enkel sind entsetzt, aber der Großvater besteht mit aller ihm eigenen Hartnäckigkeit auf seiner Forderung. China muss es sein und sonst gar nichts. Schweren Herzens klauben die Geschwister ihre Ersparnisse zusammen und losen den Unglücklichen aus, der den Großvater begleiten muss. Natürlich trifft es Keith, der immer nur Pech und nie eine anständige Ausrede hat. Aber dieses Mal fügt er sich nicht in sein Schicksal, sondern verspielt das Geld mit seiner aktuellen Großmutter und schickt seinen Großvater alleine los. Er selbst beschließt die zwei Wochen, die er mit dem Großvater unterwegs sein sollte einfach unsichtbar in seiner Wohnung zu verbringen. Anfangs bekommt er noch Postkarten vom Großvater, der versucht, sich mit dem Auto nach China durchzuschlagen. Dann jedoch zeichnet sein Anrufbeantworter den dringenden Apell einer Krankenschwester aus dem Westerwald auf. Keith soll umgehend bei ihr erscheinen, um seinen soeben verstorbenen Großvater zu identifizieren. Diese unerwartete Wendung bringt den Jungen in größte Schwierigkeiten und er beginnt, seinen Geschwistern Briefe aus China zu schreiben, in denen er seine angeblichen Reiseerlebnisse schildert. Irgendwie muss es ihm dabei gelingen, eine plausible Erklärung für den toten Großvater im Westerwald zu finden, die es ihm erlaubt, unbeschadet aus dieser Geschichte herauszukommen und endlich seine derzeitige Großmutter zu heiraten. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, aber Keith wäre nicht der Enkel seines Großvaters, wenn ihm nicht eine wirklich atemberaubende Lügengeschichte einfiele. Aus einem ordentlichen Reiseführer und überschäumender Fantasie formuliert er eine wunderbare Liebeserklärung an den Großvater, die ihn geradezu unsterblich macht.
Frisch und temperamentvoll lügt Rammstedt hier das Blaue vom Himmel herunter und erfindet ein grandioses Lesevergnügen.

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