Sieben Jahre von Peter Stamm

Alles ist anders. Alles ist neu. Alles ist schön.

Dieser Spruch stammt aus dem Mund von Charles-Edouard Jean­neret (1887 — 1965), der sich selb­st den Kün­stler­na­men Le Cor­busier gab. Er baute die Porsches unter den Häusern. Behausun­gen für Men­schen, denen das Herz beim Anblick eines richtig pro­por­tion­ierten Trep­pen­haus­es aufge­ht, so wie dem Porsche-Fahrer beim Klang des Box­er- Sech­szylin­ders. Und noch ein Satz ste­ht stel­lvertre­tend für den bedeu­tend­sten wie auch umstrit­ten­sten Architek­ten des 20. Jahrhun­derts: “Unsere Augen sind geschaf­fen, die For­men unter dem Licht zu sehen: Lichter und Schat­ten enthüllen die For­men.” Und eben dieses Spiel von Licht und Schat­ten ist der rote Faden durch Peter Stamms Roman “Sieben Jahre”, der es auf die Longlist für den Deutschen Buch­preis 2009 schaffte.

Le Cor­busier wird von der begabten Architek­turstu­dentin Son­ja, der schö­nen, gescheit­en jun­gen Frau aus wohlhaben­dem Haus, die mit ihrer Attrak­tiv­ität und ihrer natür­lichen Sicher­heit stets die Blicke viel­er auf sich zieht, heiß und innig verehrt. Sie verkör­pert den architek­tonisch-kühlen Charme der Bauw­erke des Schweiz­er Visionärs. Bere­its die ersten Worte des Romans weisen ihr die Rolle zu, die sie im Laufe der gesamten Hand­lung ein­nehmen wird: “Son­ja stand in der Mitte des heller­leuchteten Raumes, im Zen­trum wie immer. Sie hielt den Kopf etwas gesenkt und die Arme nah am Kör­p­er, ihr Mund lächelte, aber ihre Augen waren zusam­mengeknif­f­en, als blende sie das Licht oder als habe sie Schmerzen.”
Den Schat­ten zeich­net Peter Stamm in Gestalt der Polin Iwona. Sie ist in jed­er Beziehung das Gegen­teil der schö­nen beherrscht­en Son­ja. Eine reiz- und anspruch­slose Erschei­n­ung, spröde, grau, unat­trak­tiv, ärm­lich gek­lei­det und ihr enges Zim­mer mit religiösem Kitsch vollgestopft. Sie hält sich ille­gal in Deutsch­land auf und mit Gele­gen­heit­sjobs über Wass­er.

Zwei Frauen wie sie unter­schiedlich­er nicht sein kön­nten und doch zirkulieren sie bei­de um Alex, der Zen­tral­fig­ur des Romans. Er, ein mit­telmäßiger Architekt aus klein­bürg­er­lichen Ver­hält­nis­sen, ist nicht dem fortschritts­gläu­bi­gen Schweiz­er Kon­struk­teur ver­fall­en, son­dern verehrt den Post­mod­ernisten und Melan­cho­lik­er Aldo Rossi. Nicht die Idee der licht­durch­fluteten Mod­erne, son­dern Rossis Aus­sage, “dass es in jedem Zim­mer einen Abgrund gebe”, ist in Alex’ Inner­stem präsent.

Egal ob Le Cor­busiers Visio­nen von Licht und Schat­ten oder Rossis dun­kle Zim­mer­flucht­en, sie beherrschen Stamms Helden latent metapho­risch. Die eine — Son­ja — wird seine Ehe­frau, die andere — Iwona — seine Obses­sion. “Es war nicht Lust, die mich an sie band, es war ein Gefühl, das ich seit mein­er Kind­heit nicht mehr emp­fun­den hat­te, eine Mis­chung aus Gebor­gen­heit und Frei­heit. Es war, als verge­he die Zeit nicht, wenn ich mir ihr zusam­men war, aber ger­ade dadurch beka­men diese Momente ihr Gewicht. Mit Son­ja baute ich mir etwas auf, das nie ganz fer­tig wurde. (…) Kaum hat­ten wir ein Ziel erre­icht, zeich­nete sich schon das näch­ste ab, wir kamen nie zur Ruhe. (…) Es war, als sei Iwona der einzige Men­sch, der mich ernst nahm, dem ich wirk­lich etwas bedeutete. Sie war die einzige Frau, die in mir mehr sah als den net­ten Jun­gen oder den vielver­sprechen­den Architek­ten.”

Peter Stamm erzählt eine Dreiecks­geschichte in einem Liebesro­man. Aber nicht der­art, wie man es von ein­er solchen erwarten würde. Seine Sprache ist klar, nüchtern, dis­tanziert, eher schmuck- und teil­nahm­s­los, als roman­tisch und verk­lärt. Nicht das Her­ausar­beit­en von roman­tisierten Glück­mo­menten zählt zu den Stärken des Buch­es, son­dern das Aus­loten men­schlich­er Unzulänglichkeit­en. Dies jedoch mit ein­er kühlen Zärtlichkeit und Empathie.
Als Rah­men­hand­lung fungiert ein Gespräch von Alex mit der befre­un­de­ten Malerin Antje, in deren Mar­seiller Woh­nung vor 18 Jahren die Beziehung zu Son­ja begann. In Rück­blenden set­zt er Puz­zle für Puz­zle sein ver­gan­ge­nes Leben zusam­men, scho­nungs­los, offen und ehrlich — eine Lebens­be­ichte.

Faz­it:
Le Cor­busiers Kunst­werke zu bewohnen ist anstren­gend. Denn um der Schön­heit Willen muss man auf solche Eigen­schaften wie Gemütlichkeit, Heimeligkeit oder Kusche­ligkeit verzicht­en. Ähn­lich ver­hält es sich mit Peter Stamms “Sieben Jahre”. Auch hier sucht man diese Charak­ter­is­ti­ka verge­blich. Er seziert die Liebe in all ihre Einzel­teile, bis auf den let­zten freigelegten Nerv, da wo es richtig weh tut. Aber wie er das schafft, zeich­net her­vor­ra­gende Lit­er­atur aus.

“Du bist, was du lieb­st, nicht wer dich liebt.” (aus “Sieben Jahre”)

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen