SOLO von Rana Dasgupta

„Das Leben spielt sich über einen bes­timmten Zeitraum an einem bes­timmten Ort ab. Aber es bleibt ein großer Über­schuss, und wo sollen wir den unter­brin­gen, wenn nicht in unseren Träu­men?“ (S.414)

Nach fast 100 Jahren auf dieser Erde hockt Ulrich blind und hil­fs­bedürftig hoch über dem Bus­bahn­hof von Sofia in ein­er winzi­gen, feucht­en Plat­ten­bau­woh­nung. „ Spät nachts, wenn sein Fernse­her aus­geschal­tet ist, hört er manch­mal weit­er unten im Haus end­los ein Tele­fon klin­geln. Dann liegt er wach und fragt sich, wo auf der Welt diese Sehn­sucht wohnen und was sie in diesem Haus so behar­rlich suchen mag.“ (S.13)

Während er auf die alltäglichen Geräusche sein­er Umge­bung hört, durch­lebt er noch ein­mal die längst ver­gan­genen Sehn­süchte und Hoff­nun­gen sein­er Jugend, deren Erfül­lung durch die enor­men poli­tis­chen, gesellschaftlichen und tech­nis­chen Umwälzun­gen im Bul­gar­ien des ver­gan­genen Jahrhun­derts vere­it­elt wurde. Ulrich blickt auf ein durch­weg  mit­telmäßiges Leben in ein­er völ­lig ver­rück­ten Zeit zurück und erträumt für sich und seine Kinder, die er nie hat­te, ein besseres Dasein in einem glo­r­re­ichen, viel ver­sprechen­den 21. Jahrhun­dert weit jen­seits der Gren­zen seines Lan­des.

Rana Das­gup­ta lässt auf Ulrichs boden­ständi­ge Geschichte, deren Kapi­tel mit den Namen chemis­ch­er Ele­mente über­schrieben und dadurch als real­ität­snah gekennze­ich­net sind, die Tagträume fol­gen. Dadurch sprengt er nicht nur den Rah­men des biographis­chen Romans, son­dern er kann sich auch über die Gren­zen von Raum und Zeit, Staat und Milieu, Real­ität und Ver­nun­ft hin­wegset­zen, so dass die Erzäh­lung richtig Fahrt aufn­immt. Dabei bleibt der Autor allerd­ings am dur­chaus Vorstell­baren, greift Motive aus Ulrichs wirk­lichem Leben auf und lässt ver­gan­gene Szenen sich in neuem Licht wieder­holen. So ver­schmilzt der Traumteil schließlich mit der echt­en Lebens­geschichte. Das, was mit­ten im Buch mit einem total­en Bruch wie ein zweit­er Roman begin­nt, wird am Ende zu einem ergänzen­den Teil des ersten Abschnitts.

Flüs­sig und mitreißend geschrieben ist Solo ein echter Lesegenuss für alle, die gerne auch mal ein wenig neben der Spur gehen mögen.

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