Nirgendwo war Heimat – Mein Leben auf zwei Kontinenten von Stefanie Zweig

Wer bereits alles von Stefanie Zweig gelesen hat, wird dieses Buch wohl als reine Wiederholung empfinden, ist es doch eine Autobiographie. Denn genau diese eigene Lebensgeschichte hat Stefanie Zweig ja bereits als Grundlage für viele ihrer Romane verwendet, u.a. »Nirgendwo in Afrika«, welcher auch verfilmt wurde. Für alle anderen Leser/-innen jedoch ist diese Biographie in Briefform unbedingt empfehlenswert, selbst wenn Sie sich bis dato noch nie für Stefanie Zweig interessiert haben.
Im Jahr 1932 wird die kleine Steffi im Örtchen Leobschütz in Schlesien geboren als Tochter des Rechtsanwaltes Walter Zweig und seiner etwas kapriziösen Frau Jettel. Da Briefe zu dieser Zeit das wichtigste Kommunikationsmittel waren, verkündet Walter Zweig die Geburt seiner Tochter natürlich sogleich per Brief an verschiedene Bekannte und Familienmitglieder – so beginnt also diese Lebensgeschichte. Wir erfahren weiterhin aus Briefen von Walter und Jettel Zweig sowie von anderen Familienmitgliedern, wie sich die kleine Steffi und das Leben in Leobschütz entwickeln, zunehmend gespickt mit sorgenvollen Blicken auf die politische Entwicklung in Deutschland, denn die Zweigs sind eine jüdische Familie.
Freunde von Walter Zweig raten diesem schon recht früh zur Emigration, doch aus einer Mischung aus Furcht vor der Fremde und Liebe zu seiner Heimat heraus wartet er fast bis zum letzten Moment. Da bleibt der Familie dann nur noch Afrika als Zielort, obwohl sie von diesem Land eigentlich überhaupt nichts wissen. Aus Briefen können wir herauslesen, wie sich die Zweigs gefühlt haben während ihrer Trennung, als Walter Zweig voraus reiste nach Afrika, um die Situation vor Ort zu besichtigen und schon eine kleine Existenz für seine Familie aufzubauen. Wir erfahren, wie schwierig es für seine Frau war, sich der Tatsache zu stellen, dass sie nun nicht mehr gut situierte Anwaltsgattin war, sondern mittelloser Flüchtling – immer noch, auch während der Flucht, versteht sie nicht, warum sie soviel Geld für einen Eisschrank in Deutschland ausgeben sollte, der ja auch so schwer zu transportieren sei, und kauft sich stattdessen lieber ein schönes neues Kleid. Dennoch erscheint uns Jettel in späteren Briefen manchmal durchaus als die tatkräftigere, anpackendere Person, denn Walter Zweig, der Kopfmensch und Schöngeist, kommt mit seinem neuen Leben als Farmer nur sehr schwer zurecht.
Nach einigen schwierigen – für die kleine Stefanie aber auch glücklichen – Jahren in Afrika kehrt die Familie relativ früh nach Kriegsende tatsächlich in das hungernde, zerstörte Deutschland zurück. Diese für uns aus der Ferne so schwer verständliche Entscheidung wird durch die Briefe und später auch durch Tagebucheinträge von Stefanie langsam immer plausibler und erweist sich im Nachhinein zumindest aus finanzieller Sicht für die Familie auch als richtig.
Dieses Buch war für mich absolut faszinierend, gibt es doch nicht nur einen Überblick über eine interessante Familiengeschichte, sondern direkt Einblick in die Gefühlswelten und Entscheidungsgrundlagen der handelnden Personen. Dabei waren Walter und Jettel Zweig auch noch über die Maßen gebildet und hatten einen sehr schönen, teils sogar witzigen Schreibstil, der sich sehr einfach lesen lässt. Diese Form der Biographie ließ mich die ganze Geschichte von Judenverfolgung und Emigration noch einmal aus einem vollkommen anderen Blickwinkel erleben, wobei der Schwerpunkt nicht auf den einzelnen Gräueltaten in Deutschland liegt, sondern mehr auf den Auswirkungen auf das Leben einzelner Personen – selbst wenn diese so gut situiert waren und so weit entfernt von Berlin lebten wie die Familie Zweig. Unbedingt empfehlenswert, auch für jüngere Leser, da es nicht wie ein trockenes Geschichtsbuch daherkommt und trotzdem viel Wissen vermittelt – und vielleicht sogar neugierig macht auf mehr. JR

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