„Goldmacher“ ist ein achtzig Jahre überspannendes Deutschland-Epos, das sich an den Lebenswegen der beiden Hauptfiguren Anton Bluhm und Franz Münzer entlang entwickelt. Gleichzeitig erzählt es von verschiedenen Versuchen, den Traum vom großen Geld zu verwirklichen beziehungsweise über diesen Traum an richtig viel Geld gutgläubiger Zeitgenossen heranzukommen.
Im Jahre 1924, dem Geburtsjahr von Anton und Franz, direkt nach der großen Inflation, gründet sich am Starnberger See eine Produktionsgesellschaft zur industriellen Herstellung von Gold. Antons Vater verliert durch den Kauf von Anteilen an diesem Schwindel sein gesamtes Vermögen, so dass Anton früh lernt, derartigen Wunderglauben scharf zu hinterfragen. Nur durch den Einsatz der eigenen Vernunft lässt sich Betrug entlarven und durch schonungsloses Aufdecken der wahren Hintergründe unschädlich machen. Aus dieser Einsicht gestaltet Anton sein Lebensziel, hinter allen Dingen die Wahrheit zu suchen und sie – wie sein großes Vorbild der Grieche Thukydides – in einem bedeutenden Epos niederzuschreiben.
Franz wächst in direkter Nachbarschaft zum Labor des Goldmachers als Sohn eines Bankiers auf, der an der angeblichen Goldherstellung kräftig verdient. Seine Mutter nimmt ihn täglich mit zu den Vorführungen des Goldmachers, von deren Erfolg sie fest überzeugt ist. Auch sonst hängt sie einem diffusen, okkulten Wunder- und Welterneuerungsglauben an, der schließlich fließend in die nationalsozialistische Ideologie übergeht. Die Anerkennung des Vaters versucht Franz durch sportlichen Erfolg zu erringen und wird so von den Eltern zu einem wettkampforientierten, vorbildlichen Hitlerjungen geformt.
In einem Ferienlager der Hitlerjugend begegnen sich Anton und Franz zum ersten Mal. Die beiden so gegensätzlichen Typen geraten zunächst heftig aneinander, als der tonangebende Anführer Franz dem still beobachtenden Bücherwurm Anton dessen geliebten aber inzwischen verbotenen „Moby Dick“ aus der Hand schlägt. Anton greift Franz daraufhin so unerschrocken an, dass dieser völlig perplex direkt an ein Wunder glaubt und Anton fortan freundschaftlich respektiert. Auf völlig unterschiedlichen Wegen kommen die beiden Jungen und ihre Familien durch den Krieg und fassen an ebenso verschiedenen Enden der neuen, aufstrebenden deutschen Gesellschaft wieder Fuß. Anton wird getreu seinem Ziel, möglichst überall die wahren Hintergründe aufzuzeigen, Journalist und später Verlagsleiter. Er sucht lange nach der großen Liebe und gründet erst sehr spät eine kleine Familie. Franz tritt eher gezwungenermaßen in die Bank seines dominanten Vaters ein und vermag sich diesem einzig darin zu widersetzen, dass er zügig seine erste Jugendliebe aus der unmittelbaren Nachbarschaft heiratet, mit der er bald fünf Töchter hat.
Als Anton und Franz sich einige Jahre nach dem Krieg wieder begegnen, freunden sie und auch ihre Partnerinnen sich wirklich an. Mehr oder weniger eng verbunden erleben sie die endgültige Teilung Deutschlands durch den Mauerbau, den kalten Krieg, Studentenunruhen, die Wiedervereinigung, wirtschaftlichen Aufschwung ebenso wie verheerende finanzielle Krisen, familiäres Glück und schmerzliche Verluste.
Gisela Stelly beleuchtet die bedeutenden Ereignisse der deutschen Geschichte aus der Sicht dieser völlig unterschiedlichen aber doch verbundenen Familien und erreicht dadurch eine große Bandbreite in ihrer Schilderung. Dabei klingt immer wieder das Titelthema vom Goldmacher an, der zum Geldmacher wird und schließlich als skrupelloser Finanzjongleur sein Unwesen treibt. Der Glaube an wundersame Vermögensvermehrung findet durch alle Zeiten seine Anhänger, die sich ruinieren und seine „Verkäufer“, die erbarmungslos Profit daraus schlagen.
Aus vielen einzelnen, wunderbar erzählten Szenen mit wechselndem Focus, der mal auf die Politik, die Familie, ein geschichtliches Ereignis oder die ganz persönliche Empfindung einer Figur gerichtet ist, entsteht eine facettenreiche Collage, die den Leser zur weiteren Ausgestaltung anregt.
»Goldmacher« erzeugt im Kopf so viele Bilder wie ein Film und macht Lust auf mehr. Mehr von diesen Familiengeschichten, die genug offene Stellen haben, an denen man als Leser selbst begeistert weiterspinnen kann, aber auch mehr von den Fakten. Dadurch verführt dieser Roman geradezu zum weiteren Herumstöbern in der deutschen Geschichte und wirkt noch lange nach. IR
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