Im Zentrum dieses Romans steht eine englische Familiengeschichte über drei Generationen, aufgenommen auf vier Cassetten von einer alten Dame in den letzten Stunden ihres Lebens für ihre seit Jahren verschollene Großnichte Imogen. Nach dem plötzlichen Tod ihrer allein stehenden, kinderlosen Tante Rosamond ist Gil verantwortlich für den Nachlass. Bei ihrem ersten Besuch in der verwaisten Wohnung findet sie neben dem Sessel, in dem Rosamond verstorben ist, die besagten Cassetten, einen Stapel Fotos und die handgeschriebene Bitte an sie, dieses Vermächtnis ihrer Tante der im Kindesalter erblindeten und anschließend von einer fremden Familie adoptierten Imogen zu übergeben.
Trotz intensiver Suche gelingt es Gil und ihren beiden erwachsenen Töchtern nicht, die junge Frau aufzuspüren, so dass sie sich letztendlich die Bänder selbst anhören. Rosamond wendet sich in der Aufnahme direkt an die blinde Imogen und versucht ihr insgesamt zwanzig Familienfotos genau zu beschreiben, die abgebildeten Personen und die Umstände der Aufnahme zu erklären und Imogen so ein möglichst exaktes Bild ihrer Familie zu hinterlassen. Dabei geht sie besonders auf die Frauen – ihre Tante Ivy, ihre Cousine Beatrix und deren Tochter Thea, Imogens Mutter – ein und widmet sich deren Beziehungen zueinander. Dadurch will sie Imogen nicht nur ihre Herkunft erklären sondern auch die Umstände, die zu ihrer frühen Erblindung führten.
In ihren Schilderungen zeichnet Rosamond ein gelungenes Portrait der englischen Gesellschaft von den frühen vierziger Jahren bis heute und enthüllt gleichzeitig, was für Abgründe sich hinter einer nach außen heilen Familienfassade auftun können.
Indem sie die exakte Beschreibung der Fotos mit den Hintergründen der betreffenden Situation verknüpft, macht Rosamond deutlich, dass nichts so ist, wie es scheint und dass man das, was wirklich ist, häufig überhaupt nicht sehen kann. Wo für die Gesellschaft alles in bester Ordnung ist, herrschen hier tatsächlich Lieblosigkeit, Verachtung und Gewalt, während dort, wo das Leben von der Norm abweicht, das vollkommene Glück verborgen sein kann. Letzteres ist allerdings dadurch definiert, dass es irgendwann zu Ende geht…
Der Regen bevor er fällt ist ein interessant aufgebautes, wundervoll erzähltes melancholisches Buch. Der Versuch Coes hinter den geschilderten Ereignissen einen übergeordneten Plan oder mystischen Zusammenhang zu suchen, wirkt zwar sehr konstruiert und einige Teile der Geschichte sind recht unrealistisch, aber darüber kann man gut hinwegsehen und das Lesevergnügen uneingeschränkt genießen.
Grauenvoll gut beschriebene Familiendramen. Für meinen Geschmack passt das Ende nicht. Man kann die Hauptdarstellerin nicht einfach sterben lassen ohne ihre Geschichte von ihrer Seite zu kennen. Sie kommt nicht einmal zu Wort. Man legt das Buch irgendwie enttäuscht zurück.