Atemschaukel von Herta Müller

Am Anfang dieses ganz beson­deren Romans ste­ht:

„Es war noch Krieg im Jan­u­ar 1945. Im Schreck­en, dass ich mit­ten im Win­ter wer weiß wohin zu den Russen muss, wollte mir jed­er etwas geben, das vielle­icht etwas nützt, wenn es schon nichts hil­ft. Weil nichts auf der Welt etwas half. Weil ich unabän­der­lich auf der Liste der Russen stand, hat mir jed­er etwas gegeben und sich sein Teil dabei gedacht. Und ich habe es genom­men und mir gedacht mit meinen siebzehn Jahren, dass dieses Weg­fahren zur recht­en Zeit kommt. Es müsste nicht die Liste der Russen sein, aber wenn es nicht zu schlimm kommt, ist es für mich sog­ar gut. Ich wollte weg aus dem Fin­ger­hut der kleinen Stadt, wo alle Steine Augen hat­ten. Statt Angst hat­te ich diese ver­heim­lichte Ungeduld. Und ein schlecht­es Gewis­sen, weil die Liste, an der meine Ange­höri­gen verzweifel­ten, für mich ein annehm­bar­er Zus­tand war.“ (S.7f.)

und am Ende:

„Der schw­er­ste mein­er Schätze ist mein Arbeit­szwang. Er ist die Umkehr der Zwangsar­beit und ein Ret­tungstausch. In mir sitzt der Gnaden­zwinger, ein Ver­wandter des Hun­geren­gels. Er weiß, wie man alle anderen Schätze dressiert. Er steigt mir ins Hirn, schiebt mich in die Verza­uberung des Zwangs, weil ich mich fürchte, frei zu sein.“ (S.295)

Dazwis­chen ste­hen für Leopold Auberg fünf harte Jahre im Arbeit­slager und viele weit­ere, in denen er sich aus diesem Lager nur äußer­lich ent­fer­nt hat. Mehr geht nicht. Inner­lich bleibt er sein Leben lang deportiert.

Was das bedeutet, was es heißt im Lager zu leben, zu über­leben und wie es sich anfühlt, erzählt Her­ta Müller in vie­len kurzen Kapiteln und in ein­er so bil­dre­ichen, ein­drucksvollen Sprache, wie ich sie noch nir­gend­wo gele­sen habe. Es gelingt ihr, Worte für das zu find­en, was kaum jemand beschreiben kann, für das Unaussprech­liche, was unter den entset­zlichen äußeren Bedin­gun­gen im Lager im Inneren der Men­schen geschieht.

Die ober­fläch­liche Hand­lung dieses Romans lässt sich in weni­gen Sätzen wiedergeben, aber die Atmo­sphäre und die See­len­be­we­gun­gen, die darin steck­en, füllen wesentlich mehr als die 297 Seit­en des Buch­es. Sie wirken im Leser. Ich hat­te sel­ten so sehr das Gefühl „für das Leben“ zu lesen.

3 Kommentare zu „Atemschaukel von Herta Müller“

  1. Ein Buch abseits des Main­stream würde ich mal sagen.
    Mir hat “Atem­schaukel” sehr gut gefall­en. Her­ta Müller hat es geschafft, eine so grausame Geschichte würde­voll darzustellen. Es fühlt sich an, als sei man unmit­tel­bar dabei und seit ich das Buch gele­sen habe schäme ich mich fast über jeden Luxus in meinem Leben.
    Diese 300 Seit­en haben mir per­sön­lich sehr viel gebracht.
    Ich kann “Atem­schaukel” nur jedem empfehlen, den Lit­er­aturnobel­preis erhält man schließlich nicht umson­st.

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